Den trauernden
Seelen ein Ständchen
voller Licht
Die See schlägt
Purzelbäume und
verschlingt den Ton
Barmherziger Seelenkreisel
ächzt nach Erlösung
und findet doch nur
— sich selbst.
(c) Anja Mutschler, geschrieben im Frühjahr 2019
Literatur, Kabarett, Slam Poetry. Menschen, die die Sprache über die Wirklichkeit hinauszudehnen wissen, ist diese Kategorie mit besonderer Hingabe gewidmet. A fan page!
Den trauernden
Seelen ein Ständchen
voller Licht
Die See schlägt
Purzelbäume und
verschlingt den Ton
Barmherziger Seelenkreisel
ächzt nach Erlösung
und findet doch nur
— sich selbst.
(c) Anja Mutschler, geschrieben im Frühjahr 2019
(c) Anja Mutschler, 2021
Zugfahren, das war: Beide Hände frei, während man, nicht zu schnell und nicht zu langsam, der neuen Gegenwart entgegengondelt.
Fährt man lange, sieht man das Wetter.
Fährt man sehr lange, sieht man die Jahreszeiten.
„Oh, schau, hier blüht es schon /// noch.“
Man konnte keine Tankstelle verpassen; kein Fahrrad überholt einen von rechts, manchmal gabs sogar was leckeres im Bordrestaurant, und wenn man keine Lust auf eine Verabredung hatte, sagte man: „sorry, Verspätung!“. Glaubte einem jeder. Der Zug war der freundliche Begleiter der Postmoderne,
anything goes, and anywhere.
Man übte sich in zivilisatorischer Toleranz, die Banane links, der Gameboy rechts und natürlich DER SCHNARCHER, das waren die kleinen Reiseaufreger, die man erzählte, während man heiter seine zerknitterte Blusen auf den Bügel hing.
Ich etwa habe mich umgesehen, Gedichte geschrieben und (bisweilen) gearbeitet.
Jetzt haben wir Klimawandel
und
Pandemie.
Man soll Zug fahren wollen, will es aber gar nicht.
Wer in den Zug steigt, tut es nicht gern – selbst das Personal nicht, das einen neuen, ätzenden Zusatzjob bekommen hat: Maskenmahnend und nachweiskontrollierend rennen die Schaffnerinnen und Kontrolleure gestresst durch die immer schon zu engen Wagen,
in Habachtstellung vor dem nächsten agent provocateur
unter den Zug“gästen“.
Obwohl der Coronatrain Abstand verlangt, gibt es nun: Gestopfte Züge.
Der ganze Dampfer auf Schienen ist gestresst.
Die Kinder
schreien es heraus,
die Alten
grummeln es in sich hinein, und wir
in der Mitte des Lebens
drehen hektisch am Pegel der Resilienz
obwohl der längst auf Anschlag ist.
***
Wir rümpfen die Nasen hinter der Maske, weil jemand isst, hustet oder artistische Tricks vollführt, die Maske aufzuhaben, ohne sie aufzuhaben. Kein kluger Gedanke, der nur beim Fahren und Hinausschauen geboren werden kann. Rauflustige empören sich über
das freie Nasenloch des linken Nachbarn
oder halten
ihren Kolben
provokant in den Wind.
In der Enge des Abteils erkennen wir die Abgründe der anderen Seite. Es gibt jetzt immer eine andere Seite.
Corona ist Deutschlands Trump
(sorry Alice W.),
unser Brexit, unser Systembruch.
Wem heute nach neun Stunden Zugfahrt die Maske verrutscht, um die Luftzufuhr zu optimieren, muss aufpassen, dass er nicht plötzlich auf der falschen Seite steht.
Keine Liebe im System, so viel steht fest.
Stattdessen aufgestaute Prügelambitionen von allen Seiten, wehe, du liest die falsche Zeitung.
Oder du liest gar nicht!!!
Bei Spaziergängen, im Auto, auf dem Fahrrad lässt sich das Gegeneinander halbwegs ausblenden.
Beim Fliegen geben die Menschen schon beim Betreten des Flughafens einen Teil ihrer Menschenrechte ab. Zu enger Sitz, abenteuerliche Kost, Luftlöcher – alles ertragen wir, Masken und all das sind nur ein Paragraph mehr auf der Liste der Dos and Dont’s des Flugverkehrs.
Aber im Zug – da herrschte mal fröhliches Laissez-fair. Eine etwas rumpelige Anarchie in einem guten Verhältnis von Last und Lust. Der Kofferraum des Autos kombiniert mit dem Cockpit des Flugzeugs plus Oma Hildes Küchenstuhl (gepolstert).
Nun steigen die Preise
bei
abnehmender
Leistung.
Inflation!!
Und da die Coronakrise unter anderem auch eine
Transportkrise ist, eine
Lieferkettenkrise und eine
Energiekrise,
erhöht nicht nur der Supermarkt und die Deutsche Post, sondern auch die Deutsche Bahn ihre Preise.
Während wir dem Geld beim Zerrinnen zusehen, hängen wir noch in der Spirale steigender Ansprüche fest. Wenn wir schon den Komfort unseres Autos und die Geschwindigkeit des Flugzeugs aufgeben sollen, dann nur für einen
schnieken, stets pünktlichen Zug
(„sogar die Franzosen /// Chinesen schaffen das, von Japan /// Schweiz ganz zu schweigen!“).
Ach.
Im Weniger liegt die Macht. Die Erotik des Verzichts, endlich.
Die Kunst des Überlebens, wir hatten sie uns doch weggefuttert, steht aus dem Sarg der Großeltern auf. Den Weltuntergang im Nacken,
werfen wir uns in Schale:
G
l
i
t
z
er
nd: Hedonismus bis zum Sanktnimmerleinstag. Geschlecht egal, Hauptsache rinn.
In – eiserne – Rüstung: Hektische Seitwärtsbewegungen, in denen wir uns, siehe oben, gegenseitig anzischen oder mit vorwurfsvollen Laseraugen töten, fachfremd Depots einrichten und teure Immobilienwetten abschließen.
Mit Sturrrmhaube: Unter dem Schwachsinn der Parolen der Queren lauert, alt und schön, der gute alte Sozial-Darwinismus, gepreppert bis zum Anschlag.
Ge minus pu minus dert: Währenddessen the richest of the rich mal wieder nichts mitkriegen und sich, im Ernst jetzt?, auf den Mond /// Mars beamen.
Hilfe ist von nirgendwo zu erwarten. Amen.
Was also? Wir müssen selbst. Ran an die Selbstbehaglichkeit.
WAS also?
Wir halten fest:
Nachts, wenn Betrunkene, Spinner, Obdachlose, Abenteurer und prekäre Pendler in Zügen sitzen, ist es die Nacht,
wie sie IST da draußen.
Tags, wenn Pendler, Karrierestarter, Senioren, Familien und genervte Singles in Zügen sitzen, ist es der Tag,
wie er IST da draußen.
DIE Nacht und DER Tag sind, wie sie sind.
Es hat sich nichts verändert in den Zügen. Wir haben uns verändert. Wir sind der Zug. Der Zug sind wir.
Unser Gedächtnis und unsere Gegenwart. Unsere Möglichkeiten und unser Vermächtnis.
Unsere Gegenwehr und unsere Gegenwärtigkeit.
Unsere Schönheit und unser Schicksal.
Unser uns.
Wir.
Lösen uns auf.
Brain train is brain drain is brain train.
Brain train is brain drain is the brain train.
Brain train is brain drain is brain train.
Brain train is brain drain is the brain train.
Brain drain is the brain train is the brain drain.
Brain train is the brain drain is brain train.
The Brain train is the brain drain is the brain train.
Who knows?
***
„Ladies and Gentleman, in a few minutes we’re arriving at the next brain … train station: REALITY. Exit to the left or right. Please make sure you forget everything.“
___ Schlaf, ichlein, schlaf (tic, toc 2:31 Uhr)____
Söhne solln ambulant buhln
Buhl_, Sohn, Ambrosia
Ampelbulimie
Sonar am Busn
Bambusjulia
Bimbamboul_
Lust am Bo_s_n
Sna/mbuli_r_n
Lumba, bumba, ufftata
Blusnsohn
Boulatti oder Bu, Latt_
___ Mutta hüt die Schab‘ (ha ha, 2:46 Uhr)____
So n_ Ambulanz
Barsoda fu_r Barbara
Blumbuli_
Lisa an Simb/pl
Simpl about sun
but son oh sun
___ While Father is KILLING the tree (***, 2:59 Uhr) ____
Son ambi_nt_
Sohn ist ambival_nt
S für ein U
Sound of Blue
Blousson pour lui
Eeeeeeeeeee
___
Le jus du fleur *
Il m’entrâine dans la baie de la mort heureuse**
____ Les rêves se sont reveillés – et, voilà, finalement le fin avec un E!(…., 3:14 Uhr)*** ____
*[lit.: der Ambrosiensaft]
**[dringt in mich ein in der Bucht des glücklichen Todes]
*** [Die Träume sind erwacht – und, voilà, endlich das Ende – mit E!]
Eine analytische Haltung ist etwas wunderbares. Sie kontrolliert ein Ich, das ständig überschäumen möchte, sie biegt es zurecht für den sozialen Gebrauch und verleiht Autorität, wo vielleicht nur Hilflosigkeit wäre. Sie ordnet, gibt den Dingen Struktur und verleiht Selbstkontrolle. Eine analytische Haltung ist das Gegenteil zu der assoziativen, die Peter Wawerzinek in seinem Buch Rabenliebe perfektioniert hat, und die kein Stein auf dem anderen lässt.
Während mein Artikel dem neuerdings unpopulären Fleisch gleich abhängt, vulgo: ausblutet (und dabei von der Wirklichkeit überholt wird), ein paar Empfehlungen von meinem Zettelberg: „Die Freiheit ist unberechenbar, es gibt keine Garantien, und man muss auch noch alles selber machen. Ein mieser Service.“ Keine Twitterperle. Ein Zitat. Gefunden in Grenzbereiche in der Januar-Ausgabe von brand eins. Geschrieben von Wolf Lotter. Der Artikel kam dem Stil des ZEIT-Heftes zum Fehlermachen in Witz und Erkenntnis recht nah. Wer das Magazin von Dezember 2010 nicht hat, kann auf Zeit Online wenigstens ein paar Perlen nachlesen. Wobei die hohe Kunst des Blattmachens, die Olga Mannheimer und Gil Bachrach da an den Tag legten, unbedingt in Print zu genießen ist.
Überhaupt: Ist es möglich, dass Print kaufen nicht mehr nur bedeutet, verspätet Online-Nachrichten zu ergattern? Sondern Detailliebe, Freiräume, graphisch und redaktionell nachhaltige Konzepte? Querköpfiges gar? Das wär was. Einige Anzeichen sprechen dafür (allesamt gedruckt). Liste ich beizeiten mal auf.
Dafür beginne ich genau jetzt, bar jeder Vollständigkeit, mit der Rubrik Sprachakrobaten, Querkopfschreiber. Heute: ++ Jochen Schmidt – QKS auch: Querkopfredner. Ein Favorit: Zehn Minuten Zeit. Auf Voland & Quist findet ihr noch mehr – zu lesen, hören oder kaufen. Oder gleich auf die Homepage des Autors gehen. Dafür sollte man sich unbedingt mehr als zehn Minuten Zeit nehmen, denn eine seiner Spezialitäten ist das Lesen von Klassikern. Proust, jetzt Luhmann. Lakonisch, meisterhaft, Berlin. ++ Lars Ruppel – Querkopfredner mit telegener Ausstrahlung. So schnell war Lyrik nie! Bread Pitt ist ebenso unvergessen wie der Wal. Als Slammer ein Live-Artist. Unglaublich jung. Unglaublich charismatisch. Irgendwo bei mir steht auch die Larubel-Trilogie von ihm im Regal. Irgendwo, da, ja, bei Eichendorff, neben Goethe, da muss es sein … Mitlachen hört ihr mich übrigens hier: Der Traum der Raupe (Leipziger Buchmesse 2010) ++ Die Missfits. Leider 2005 von der Bühne runter. Schade, oder? Trostweise Feminispräch oder Schweine (ha!) +++ Habe übrigens spaßeshalber mal Querdenkerin, Autorin gegoogelt. Der erste Treffer war ein Mann. ++
(c) Anja Mutschler