Ermächtigung – warum ich Gauck-Fan bin


1971 stellte Joseph Beuys für eine seiner politischen Kunstaktionen 10.000 Plastiktüten her, auf denen er Demokratie und Parteienstaat miteinander verglich.
(c) Foto: Dr. Heinz Schmidt-Bachem Andreas Waidosch auf einestages.spiegel.de (Kulturgut Plastiktüte: „Die Abschlepphilfe“.)

Von mir selbst habe ich immer behauptet, ein freiheitlich denkender Mensch zu sein. Jemand, der gegen Bevormundung, aber auch für Selbstverantwortung einsteht. Ich habe trotzdem nie die FDP gewählt, ehrlich gesagt, bin ich auch nie auf den Gedanken gekommen. Und das liegt nicht nur am Personal. Ich hatte in letzter Zeit auch angefangen, mich damit auseinanderzusetzen, ob ich eines Tages nicht mehr werde wählen gehen können. Für eine Politikwissenschaftlerin ein starkes Stück und ehrlich gesagt, habe ich mich ziemlich vor dem Moment gefürchtet, da ich mir eingestehen würde, dass meine Beuys-Plastiktüte aktueller ist, als mir lieb ist (s.o.).

Spätestens seit der heutigen Antrittsrede von Joachim Gauck spüre ich in mir, dass meiner Generation (Golf, Techno oder wie man es nennen mag, diese Jugend in den seltsamen Neunzigern) vielleicht doch mehr bleibt als la belle indifference*. Vielleicht liegt es daran, dass ich Im-beinah-Verhungern an politischen Vorbildern – und so etwas ist eine ziemlich ernste Angelegenheit! – gelernt habe, wie viel persönliche Entwicklung man braucht, um überhaupt eine Haltung zu entwickeln. Erst dann, wenn ich die Voraussetzung von großen Motiven wie Freiheit oder Gerechtigkeit in mir selbst begriffen und gelegt habe, kann ich politisch überhaupt etwas transportieren. Das muss kein jahrelanges Studium bedeuten, aber ein paar klare Ansichten ohne innere Persönlichkeitsspaltung sind schon Voraussetzung (nur eins von vielen Beispielen: . Das heißt nicht, dass man fertig sein müsste, bevor man die politische Bühne betritt. Im Gegenteil: erst die Menschen, die behauptet haben, sie seien jetzt „reif“ für die Macht, haben mir als Bürger den Atem geraubt, den man braucht, wenn man das Glück von Demokratie erleben und gestalten möchte.

Es liegt an der Elternschaft, in der ich stetig merke, dass ohne eine solide Basis an Erklärungen der Mensch zum Egoismus neigt: „warum soll ich meiner Schwester helfen?“ „Warum soll ich meinen Bruder nicht vom Einschlafen abhalten?“ Es liegt auch an meiner Wahlheimat im Osten Deutschlands. Permanent bin ich mit Dingen konfrontiert, mit denen ich nicht aufgewachsen bin. Ich bin oft überrascht von der Weisheit und verärgert über die Dummheit. Einerseits fühle ich mich im „Lab 2050“, weil Menschen hier insgesamt besser darin sind, nicht konsumsatt zu sein, und noch viel besser darin, am Menschen an sich interessiert zu sein. Andererseits eine traurigtrostlostragikomische Distanz zu denen, die ziemlich haarsträubende Erklärung für ihr fehlgegangenes Leben bringt (Ausländer, Kapitalisten, das „Pack“ (also die Studenten – keine Lüge!)). Das, was Joachim Gauck meint: die Ermächtigung zu einem selbstständigen Leben, nimmt vielleicht hier einen Anfang.  Ich kann auf jeden Fall sehr gut verstehen, was er meint, wenn er zu mehr Verantwortung sich selbst gegenüber aufruft – als Anfang von allem.

Rüdiger Safranski hat es gut zusammengefasst, wenn er schreibt: „Wenn jemand wissen will, wer er ist und was in ihm steckt, wird er es nur erfahren, wenn er sich selbst im Handeln ergreift, Verantwortung übernimmt und sich hingibt.“

Mich beflügelt die Vorstellung, dass es wieder eine Möglichkeit gibt, dass sich etwas ändert, wenn ich etwas tue. Dass es auch ein paar klare und gar nicht so schwere Dinge gibt, die man tun kann. Dass es einen Platz gibt für eine politische Philosophie, in der nicht Fehlbarkeit eines Politikers über Weh und Ach einer Entscheidung entscheiden, sondern ein grundsätzliches Bekenntnis. Dass es keinen Code politique gibt, den man akzeptieren muss und, wenn man nicht in ewiger APO verhaftet sein möchte, zwangsläufig zum Privatier wird für die eigene Glücksseligkeit (Die dann nicht eintreten mag, weil Glück und Freiheit nur im vita activa möglich sind, in einem Leben möglich, das die Schwierigkeiten annimmt).

Herr Gauck hat heute und an vielen anderen Stellenvon einer Freiheit gesprochen als das Ergebnis von Vertrauen. In sich selbst und andere. Freiheit bedeute, dass es Mut gibt, dass „Feigheit nicht als Tugend“ deklariert wird. Allen, wie sie da saßen auf ihren blauen Stühlen im Bundestag und manchmal fast erschrocken dreinschauten, sei das hinter die Ohren geschrieben: Ihr seid durch Wahlen ermächtigt, voranzugehen!

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