Mein diesjähriger Weihnachtshit von der Compilation „About Christmas“, erschienen bei DevilDuck.
Facebook ist der Geliebte. Ist es vorbei, hört man nicht auf, sich für ihn zu interessieren. Man interpretiert die Informationen über den Verflossenen lediglich anders. Man liest und hört alles, was man zu ihm in die Hände kriegt. Ignoriert mit Macht jede Sentimentalität. Schürzt stattdessen verächtlich die Lippen oder murmelt mit fester Stimme: „Jaja! Wusst ichs doch.“ Hat einer, den man mag, was auf Facebook gelesen und er erzählt einem davon, strafft man die Schultern und man erzählt die Geschichte des Entkommen-Seins:
Die ersten Wochen des harten Entzugs, diese unsagbare Tapferkeit, wie die alte Gewohnheit dann langsam erblasst ist, die Erleichterung als man eines Tages aufwachte und nicht mehr in Posts dachte und wie man stolz ist, (wieder etwas) „überwunden“ zu haben: stahlhart, echt! Bei ausführlichen Gesprächen hat man sogar noch ein Erweckungserlebnis parat: Dass es, neben der Tatsache der Datensammelei, auch arg lästig gewesen ist, dass alle schon alles wussten: „Ja, hab ich auf Facebook schon gelesen“, war der häufigste Kommentar, wenn ich in echt was erzählen wollte. Bisweilen drehte ich noch eine intelligente Pirouette, die sich um das soziale Miteinander und die Dialogfähigkeit drehte, die sich ja anundfürsich in höchster Gefahr befänden. Und wenn der andere gerade in seiner verunsicherten Phase war, drehte er meist mit. Die Krönung war, wenn er erschöpft zugab: „Ja, Du hast schon Recht. Ich sollte auch …“ Boah, tat das gut! So muss sich auch ein Haustür-Prediger fühlen, wenn einer ihm mal nicht die Tür vor der Nase zuknallt. Um so lauter schreit man: „Sag ich ja!“ Wenn etwa Datenschützer aus der norddeutschen Tiefebene mit selbst geschnitzten Pfeilen auf den Überschallflieger schießen. Oder Facebook öffentlich zugeben muss, dass es wirklich und ganz ehrlich Daten sammelt.
Man freut sich über intelligente, junge Menschen, die der Datenkrake den Kampf ansagen. Das Problem ist: Sie sind in der Seltenheit. Die Welt ohne Facebook ist generell bevölkert von Menschen, mit denen man gar nicht soooo viel zu tun haben will. Zumindest freiwillig. Letzthin wollte ich für einen Freund voten, konnte das aber nicht, weil ich keinen Facebook-Account habe. Andere Freunde tweeten, wenn ich etwas lustiges sage und ich erinnere mich plötzlich selbst sehr an Menschen, die ich nie mochte. Zu den unangenehmeren Dingen im LoF (Leben ohne Facebook) gehört, mit Menschen über Facebook zu reden, die noch nie ein Konto hatten. Das zweite Problem: Jeder hat sein Privacy-Embargo. Ich zum Beispiel nutze seit Jahren ausgiebig PayPal. Ist doch so praktisch! Andere kriegen plötzlich dünne Lippen, wenn ich das erzähle, haben aber seit Jahren einen Facebook-Account. Im schlimmsten Fall gibt es eine verbitterte Diskussion, ob es jetzt schlimmer sei, dass die amerikanische Regierung im Zweifelsfall sehen kann, bei wem man sich wann welches Dessous gekauft hat oder dass ein Unternehmen mehr über einen weiß als die eigene Familie.
Das erinnert mich an ausführliche Gespräche über die besten Eigenschaften eines Mannes (die ich übrigens auch heute noch führe). Keinem fiele es ein, deshalb keinen Mann zu wählen (na gut, manchmal fällt einem das schon ein, aber das Leben ist einfach zu lang dafür) und ich nehme an, dass es Männern mit Frauen ähnlich geht. Weshalb wir uns ja dann doch immer wieder einen neuen Geliebten suchen, der DAS wirklich besser kann als der vorige: Seit Dezember habe ich ein Konto bei Diaspora.
Jetzt muss ich nur noch rauskriegen, wie ich meine Freunde von Facebook dahinkriege. Allein ist es nämlich ganz schön traurig in einem sozialen Netz.
P.S. Auch wenn eine eher trostloser Analogie ist, zumindest eine fragwürdige, Anwendungen im Internet mit Menschen zu vergleichen, musste ich dieses Post jetzt endlich einmal schreiben. Sonst schreibe ich nie wieder etwas, weil ich ja versprochen habe, dass ich etwas schreibe. Öffentlich versprochen hab ich es. Und danach erst gesehen, dass es einige ziemlich intelligente Menschen gibt, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Zum Beispiel hier. Diesem Druck setze ich mich nie wieder aus. Und deshalb verrate ich jetzt auch nicht, worum es im nächsten Post geht, auch wenn ich es schon weiß. Aber zwischenmenschlicher wirds wieder. Frohes Fest!
P.P.S. Was soll ich sagen …