Die Debatte zur Frauenquote. Ein Kammerstück.
Es treten auf:
- Die Frau, die kann, aber nicht will (Frau Willnicht, aka: Will-Nicht).
- Der Mann, der will, aber nicht kann (Herr Kannicht).
- Der Mann, der nicht kann, aber darf (Herr Wieesheutesoläuft).
- Die Frau, die können wollen würde, wenn sie dürfte (Frau Wieesheutesoläuft).
- Die Frau, die neuerdings darf, obwohl keiner das will (Frau Quote).
Ferner:
- Fachkräftearme Vorstandsvorsitzende.
- Und Artemis.
In der Talkshow:
Es ist frühlingshaft warm draußen. Drinnen ein Tisch, rund wie das Ei des Kolumbus, das er seinerzeit mit einem Wums auf denselbigen schlug, damit es stünde. Mineralwasser, viel feiner Stoff, wenig zu essen und keine Musik. Wir wohnen den Proben für die abendliche Show bei.
Frau Wieesheutesoläuft: Ich freue mich, dass wir es mit rund 40 Jahren Verspätung schaffen, uns alle an diesen Tisch zu setzen.
Herr Wieesheutesoläuft: Also, da wollen wir mal die Kirche im Dorf lassen, Frau Wieso – ich darf Sie doch so abkürzen, nicht wahr, hoho. Ich und meine Geschlechtsgenossen haben immer –
Herr Kannnicht: Schnief.
Herr W: Sie, werter Herr Kollege, meine ich natürlich nicht –
Frau Will-Nicht: Da muss ich aber entschieden protestieren, Herr Wie_es_heute_so_läuft. Bloß, weil sie mir letzthin die Beförderung vor der Nase weggeschnappt haben, müssen Sie sich –
Frau Quote: Das ist ja zum Glück vorbei jetzt.
Das Telefon von Herrn Wieesheutesoläuft klingelt. Frau Wieesheutesoläuft verdreht die Augen und angelt ihm das Telefon aus der Tasche. Herr Wieesheutesoläuft, der mit Frau Will-Nicht weiter debattiert, winkt ab, als Frau Wieesheutesoläuft ihm auf die Schulter klopft.
Frau W: Das ist Ihre Tochter. Sie wollten doch Natascha zum Ballett fahren! Ist gut, Kleine. Nimm dir ein Taxi, wozu verdient dein Vater schließlich das Geld.
Sie legt auf.
Herr W (steht auf): Ich verbitte mir diesen Tonfall aufs Energischste!
Er steht noch etwas herum. Schließlich setzt er sich wieder und zupft an seinem etwas aus der Form gekommenen Anzug. Der letzte Friseurbesuch ist auch etwas her. Nervös sieht er zu den männlichen Zuschauern, ergo den Vorständen, die streng und nüchtern in der ersten Reihe sitzen. Er winkt vorsichtig die Hand. Keiner reagiert.
Frau W: Wo waren wir?
Q: Dass das mit der automatischen Beförderung der (PIEP) endlich vorbei ist.
Frau W-N (sieht etwas pikiert zu Frau Q): Ich weiß nicht, ob ich Sie wählen würde. Bei der Wortwahl –
Q: Sie sollen mich auch nicht wählen. Sie sollten froh sein, dass eine diesen Scheißjob hier erledigt und den Kerlen Manieren beibringt. Sie ziehen sich da ja fein raus mit Verweis auf, wie heißt das, höhere Motive?
Herr K: Ich bin dafür! Ich bin dafür, endlich auch einmal den Frauen eine Chance zu geben. Ich bin dafür! 2000 Jahre Patriarchat –
Herr W: Sie sind wirklich eine Schande fürs Geschlecht, mein Lieber. A propos Geschlecht (er wendet sich Frau Quote zu): Vielleicht könnten wir das anders klären, hoho?
Er grinst und streicht die strähnigen Haare aus seinem etwas aufgedunsenen Gesicht. Sie nickt und reißt ihr Kostüm auf. Zum Vorschein kommen drei Sprengstoffsätze, fünf Messer und ein Maschinengewehr.
Q: Gern.
Frau W-N: Sag ich ja, Karriere ist doof. Ich will doch nicht eine weibliche Version werden müssen von dem da!
Sie zeigt auf Herr Wieesheutesoläuft, der rot im Gesicht geworden ist und etwas Unverständliches zischt. Sie grinst wie Lara Croft und Alice Schwarzer zusammen. Herr Kannicht sieht sie schüchtern, aber unverkennbar (PIEP) an.
Frau W: Sagt mal, bin ich die einzig patente Person hier am Tisch? Könnten wir jetzt bitte einmal anfangen? Die entscheidende Frage ist doch –
Herr W: Die entscheidende Frage ist, warum ich hier sitze und mir diesen Mist reinziehen muss. Mädels, ich verrat euch jetzt was – und da bezieh ich Sie explizit mit ein, Kollege Kannicht: Wir brauchen euch nicht. Wir haben die Sache im Griff. Wenn eine von euch uns hinter geschlossene Türen begleitet und die (er ploppt mit der Zunge), ja, Gesetze einhält, ist das ja kein Problem. Ansonsten: lasst uns einfach weitermachen wie bisher, OK?
Er nickt verständnisheischend zu den Vorständen, die weiterhin ernst und schweigend dasitzen. Er bildet sich dennoch ein Lächeln ein und lehnt sich zufrieden zurück. Hätte er Hosenträger, würde er sie jetzt schnalzen lassen.
Q: Dein Schwachsinn ist schon wieder beeindruckend. Wie lange hast du noch zur Rente, Alter?
Herr W: 16 – wieso, was tut das zur Sache? Argh! Diese Dame hier macht mich WAHNSINNIG. Frau Wieso, verehrte Kollegin, so tun Sie doch was!
Er wendet sich Frau Wieesheutesoläuft zu. Die sitzt aber gar nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie steht bei den Herren der Vorstandsetage und spricht mit vertraulicher Stimme. Ab und zu sieht sie grinsend zu Herrn Wieesheutesoläuft hinüber und nickt heftig. Artemis ist unterdessen an den Tisch gegangen und verteilt Pfeile. Frau Will-Nicht wehrt entsetzt ab. Artemis zuckt die Schulter und zielt auf Herrn Kannicht. Der versteckt sich hinter Q, die immer größer zu werden scheint.
Herr K (verbirgt seinen Kopf unter den Achseln von Q): So weich. Schnief.
Q: Oh Gott. Ich komm mir vor wie in einem Tarantino-Film. Junge (sie hebt Herrn Kannicht hoch) –
Herr K (schluckt Tränen der Rührung hinunter): Für dich gehe ich bis ans Ende der Welt.
Q: Ja, wenn du da mal ankommst.
Frau W-N: Sie besitzen wirklich eine unglaubliche Härte, Frau Quote. Der arme Mann!
Frau Will-Nicht hilft Herrn Kannicht, sich auf einen Stuhl zu setzen.
Frau W-N: Jetzt erzählen Sie mal. Eines meiner 30 Zertifikate befähigt mich zur Traumatherapie. Sie können meiner Kompetenz ganz und gar vertrauen.
Herr K: Schnief.
Plötzlich ist diskretes Gemurmel aus dem Zuschauerraum zu hören. Alle wenden sich zur Zuschauertribüne, wo Frau Wieesheutesoläuft steht.
Frau W (klatscht patent in die Hände): Wir habens. Die Wirtschafts-, ja, ich darf doch sagen, die globale Wirtschaftselite und ich, wir haben zusammen einen pragmatischen Kompromiss gefunden. Ich danke Ihnen, meine Herren, ich danke Ihnen.
Die Vorstände applaudieren. Ansonsten niemand. Artemis schießt einen in den Arm, der die Verhandlungsführerin für ihren weiblichen Spürsinn und ihre unkomplizierte Haltung lobt. Der Vorstand verzieht das Gesicht und tritt seinem Hintermann auf den Fuß, weil er denkt, er hätte ihn gekniffen. Kurzes Gerangel, weiterhin schweigend.
Frau Wieesheutesoläuft geht wieder an den Tisch und rempelt Herrn Wieesheutesoläuft auf dem Weg dorthin an. Der beobachtet Frau Quote, die ihre Fingernägel mit einem scharfen Messer kürzt.
Frau W (mit fester Stimmt): Sie sind wirklich jämmerlich, Herr Kollege. Das da drüben, das sind echte Kerle!
Herr W (brüllt): Ja, meint ihr, ich säße nicht auch gern da? Wenn mich euer Emanzengejammer nicht davon abgehalten hätte? Wenn ihr Weiber nicht immer so getan hättet, als ob ich, ausgerechnet ICH!, an euren spärlichen Berufserfolgen schuld sei. Wenn ich –
Q: Du bist einfach total uncool, Mann.
Er will wieder handgreiflich werden, bis ihm der Sprenggürtel wieder einfällt. Frau Will-Nicht erkennt, was los ist und geht zu ihm. Ihr Rock flattert. Ihr Gesicht ist leicht gerötet. Sie lächelt.
Frau W-N: Kommen Sie doch, Herr Wie_es_heute_so_läuft, ich habe gerade einen Gesprächskreis mit Herrn Kannicht eröffnet, vielleicht möchten Sie auch? …
Herr Wieesheutesoläuft läuft schreiend aus dem Saal. Frau Wieesheutesoläuft räuspert sich und will mit ihrem Plädoyer beginnen. Allerdings ist die Lage unübersichtlich.
Im Gericht:
Artemis hat das Talkshow-Studio in einen Gerichtssaal verwandelt. Mehr so aus Langeweile. Frau Quote hat es sich auf dem Richterplatz bequem gemacht. Die Vorstände sitzen plötzlich auf der Anklagebank. Artemis nickt leise lächelnd. Sie wird die Herren verteidigen.
Herr K (schüchtern): Ich möchte mich gerne an der Aufklärung beteiligen. Kann ich mich sinnvoll einbringen?
Q (weist auf die Seite des Staatsanwaltes): Vielleicht hier?
Frau W-N: Ich versteh Herrn Wie_es_heute_so_läuft nicht. Das nützt doch allen, wenn wir uns einmal zusammensetzen –
Q (rüde und sanft zugleich): Frau Will-Nicht, schön, dass Sie heute als Gutachterin zu uns kommen konnten. Was haben Ihre Untersuchungen an den Angeklagten denn ergeben?
Frau W-N (räuspert sich und erglüht vor Eifer): Ja, also – dass ich diesen Tag noch erleben darf! – ich freue mich, Ihnen allen (sie nickt in alle Richtungen ausgenommen der Vorstände, die noch ernster gucken als eben) mein umfangreiches Gutachten zum Thema Macht und Männlichkeit vorzustellen. Ich fasse mich kurz …
Q: Das will ich hoffen!
Artemis beugt sich zu Frau Quote und gibt ihr einige Tipps bezüglich einigermaßen „neutralen“ Verhaltens. Die rollt die Augen.
Frau W-N (spricht schneller): Erstens: Macht erfordert Kraft erfordert Zeit erfordert Freiräume. Zweitens: Kinder, und sie sind, soweit ich das sehe, der einzig sachliche Grund für die anhaltende Debatte, und Mütter gehen ein untrennbares Schicksal ein, spätestens im Akt der Geburt. Ist diese Bande „gerechtigkeitshalber“ einfach auflösbar? Es muss einen dritten Weg geben. Drittens: Es gibt eine männliche und eine weibliche Version von Macht. Derzeit regiert die männliche Macht (sie sieht zu Q hin, die ihren neutralen Gesichtsausdruck versucht) und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es überhaupt nicht so einfach, die weibliche Überlegenheit an Wissen, Kooperationsgeist und Effizienz in die oberen Etagen einzuführen. Ich als Frau möchte nicht –
Ihr Plädoyer geht im Lärm unter. Die Tür zum Gerichtssaal hat sich geöffnet. Frau Quote strahlt. Ihr Korps ist angerückt: die Qs. Herrn Wieesheutesoläuft haben die Frauen, die mal mehr einer Amazone, mal mehr Pipi Langstrumpf gleichen, unter den Arm geklemmt. Sie setzen sich in die zweite Reihe, eine nimmt den Mann auf den Schoß. Er sieht entrückt zu ihr.
Frau W-N: So etwas Unerzogenes habe ich mein Lebtag –
Artemis steht auf. Jedes Geräusch erstirbt auf der Stelle. Die Vorstände halten sich die Hände vors Gesicht. Die Göttin strahlt.
Artemis (ihre Stimme ist tief, rau und zugleich licht wie der Strahl, der das Gerichtsgebäude erleuchtet): Gott ist weiblich.
Sie setzt sich wieder hin. Schweigen.
Dann ist von der Anklagebank ein leises Jubeln zu hören. Zwischen den Vorständen wühlen sich zwei Frauen mittleren Alters hervor. Die eine heißt Frau Tapfer. Die andere heißt Frau Toll, weil sie so aussieht. Sie fassen sich an der Hand und führen ein kleines Tänzchen auf.
Die Frauen T: Danke, Artemis. Jungs, habt ihr das verstanden?
Vorstände (Artemis im Blick): Jajaja.
Frau Will-Nicht springt auf. Es ist der Tag ihres Lebens. Endlich kann sie alles, was sie gelernt hat, anwenden. Auch in Konfliktbewältigung hat sie ein Zertifikat. Sie schiebt den Tisch des Staatsanwaltes mit dem der Verteidigung zusammen. Herr Kannicht hilft ihr, Stühle zu rücken. Schließlich gibt sie sich einen Ruck und geht zu Frau Quote. Sie flüstert ihr etwas ins Ohr. Die flüstert daraufhin Artemis etwas ins Ohrt. Artemis nickt.
Q (haut mit dem Hammer auf den Tisch): Bla bla bla bla … Die Strafe ergeht wie folgt: Jeder Vorstandsvorsitzende männlichen Geschlechts muss zu einer konfliktlösungs-, äh, – orientierten Gruppentherapie bei Frau Will-Nicht. Zudem wird eine Frauenquote von 30% für die nächsten 20 Jahre festgesetzt.
Frau Will-Nicht und Frau Quote klatschen sich ab. Eine Reihe gedrückter Herren geht an den Tisch. Ihre Anzüge sind verknittert. Ihre Gesichter auch. Herr Wieesheutesoläuft macht das V-Zeichen zu ihnen. Er hat eine Q abbekommen. Sie hält ihn stark in ihren Armen. Sie sieht aus wie eine berühmte Politikerin. Er ist verwirrt, aber glücklich. Die anderen Qs, die mit den Frauen Tapfer und Toll gesprochen haben, erheben sich und gehen zum Tisch. Im Hintergrund ertönt Walzermusik. Sie fordern die Herren zum Tanz.
Einer der in der Tat nicht so attraktiven Übriggebliebenen (ruft): Äh, Frau Richter, äh, kann die Quote, äh, vielleicht … erhöht werden?
Q: Nope. Selbst schuld. Darf ich Sie an den Tisch bitten? Frau Will-Nicht ist eine wirklich exzellente Pädagogin. Sie findet immer – ihr neutraler Gesichtsausdruck verrutscht erneut – den wunden Punkt.
Frau W-N (tritt direkt zu Artemis): Sagen Sie, muss es nicht heißen: Gott ist auch weiblich?
Sie hat wie immer Recht. Und Sekunden später steht der Saal in Flammen.
Im Himmel:
Frau W (aus dem Off): Hätte mich mal einer ausreden lassen …
Alle: Jajaja.
(c) Anja Mutschler
„Das stille Mädchen“ und „Die Kinder der Elefantenhüter“ von Peter Høeg sei all jenen empfohlen, die das Leben als Bühne und die Liebe als ewigen Dialog verstehen. Selten so treffende Beschreibungen des schrillen, starken, weiblichen Artemis-Topos gelesen wie in diesen beiden Büchern. Die stark-schwachen Männer waren in ihrer Souveränität und Liebe fast visionär. Wie Høeg schreibt, ist mir im Übrigen unerklärlich: Er muss eine Kamera im Kopf haben. Der Autor von Fräulein Smilla (ah, klingelts?) ist natürlich – Däne: http://www.peter-hoeg.de/
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