Schweigen I


Im Café der Bäckerei schweigt ein Paar. Das Erstaunliche daran ist, dass es der Mann ist, der den trostlosen Aussichten mit charmantem wie eingefrorenem Lächeln entgeht. Sie schaut so grimmig, dass sie sich seiner ganz sicher sein muss. Mir fällt ein anderes Paar ein, bei dem ebenfalls er es ist, der Krisen weglächelt. Allerdings ist jener ansonsten alleinerziehend.  Das Muster des lächelnd-grimmenden Paares  ist mir geläufig, ansonsten aber andersherum. In einer besonders deutlichen Ausprägung habe ich es kürzlich im Hotel gesehen und auf ein deutsches Paar getippt (es waren aber Engländer).

Möglicherweise, überlege ich, ist das Lächeln des Mannes im Café der Bäckerei finanziell intendiert. Er hat ein hübsches Gesicht mit arabischem Einschlag. Er ist gut angezogen, aber mit günstigen Kleidern. Er spricht sächsisch, das höre ich bei der Bestellung. Seine Ausstrahlung ist gedimmt; was sich dahinter verbirgt, ist schwer zu erraten. Es ist möglich, dass er keine Arbeit hat – im Gegensatz zu ihr. Kleiner ist er als sie, die statt des Café Latte ein Mittagsmahl zu sich nimmt. Der Ingrimm, mit dem sie isst, lässt ein längeres Leiden vermuten, bei dem jede Mahlzeit die letzte üppige ist, versprochen. Sein Lächeln könnte auch diabolisch sein, immerhin passt er gut und gerne zwei Mal in ihre Klamotte. Andererseits ist ein teuflischer Gesichtsausdruck gegenüber seiner übergewichtigen Partnerin nicht zweckvoll. Dass sie ein Paar sind, ist unzweifelhaft, gerade weil sie so chronisch unbeeindruckt voneinander sind. Seine verstohlenen Blicke hin zu mir widersprechen dem nicht. Allerdings die Tatsache, dass er mich heimlich mustert, obwohl ich Kinder dabei

habe und damit, einem Zootier gleich, zur öffentlichen Besichtigung freigegeben bin. Er sieht verstohlen hin. Sie, trotz ausreichendem Lärmpegel, gar nicht. Als er ihr – in einem Versuch kommunikativer Verortung – etwas über die zwei lärmenden Plagen versucht beizubringen, schaufelt sie gleichmütig weiter. Einmal glaube ich, einen vogelschnellen Blick von ihr zu erhaschen, den sie allerdings vor ihm verborgen hält. Auch sie scheint etwas vorzutäuschen, wenngleich ich nicht verstehen mag, warum sie aus den unzähligen Möglichkeiten der Illusion ausgerechnet Stumpfsinn wählt.

Schweigendes Paar im Café. (c) Michael Mutschler, 2011

Schweigendes Paar im Café. (c) Michael Mutschler, 2011

Als sie fertig ist, sehe ich seinem Brustkorb einen stillen Seufzer entfliehen. Säße ich an seiner Stelle – und ich säße dort nicht – hätte ich zur Belebung einen Streit vom Zaun gebrochen. Säße ich an ihrer Stelle, ebenso. Sie sitzen weitere fünf Minuten, in denen an meinem Tisch zwei Gabeln vom Tisch fallen, ein Mayonnaisefleck auf einem neuen Kinderpullover erblüht, das wenige Essen sehr, das viele Essen gar nicht gemocht wird und die für das gesamte Café verständlich formulierte Frage, wann man endlich den Naaachtisch bestellen könne, das würde hoffentlich besser schmeeeecken, mehrfach wiederholt wird. Er lächelt. Sie steht auf. Er will ihr in den Mantel helfen. Sie lehnt ab. Beide stehen sie einen Moment da, dann fragt sie knapp: Zahlst du? Für einen Moment sieht er verwirrt aus – wie ich. Während sie ostentativ am Tresen vorbeirauscht, zückt er einen schmalen Geldbeutel und bezahlt. Beim Hinausgehen stoßen sie noch zusammen, dann sind sie in den Schneewehen verschwunden.

Egal, warum er lächelt: Es muss einen sehr ernsten Grund haben.

(c) Anja Mutschler

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